Ein Dutzend Menschen in den USA verbreiten laut Tages-Anzeiger vom 28.07.2021 rund 65 Prozent aller irreführenden Corona-Meldungen auf Facebook und Twitter. Darunter: der Osteopath Joseph Mercola.

Auf seiner Website Mercola.com kennzeichnet der Osteopath Joseph Mercola seine eigenen Texte mit dem Label «Fakten gecheckt» und einem kleinen Haken. Er nährt Zweifel an der Impfkampagne in den USA, an den Impfstoffen und an den Herstellern. Er macht das mit grossem Erfolg und verdient damit laut Tages-Anzeiger ein Vermögen.
Dabei Mercola steht nach einer Studie des Center for Countering Digital Hate an der Spitze der zwölf einflussreichsten Impfskeptiker auf Twitter und Facebook. Dieses «dreckige Dutzend» soll laut der Studie für 65 Prozent aller Falschmeldungen und Fehlinformationen zum Thema Corona auf den beiden Plattformen in den USA verantwortlich sein. Darunter auch Robert F. Kennedy, ein vor Jahren schon in das Impfgegner-Lager abgedrifteter Sprössling der weitläufigen Kennedy-Familie, dem die angeblich so kritischen Querdenker vor allem wegen seines illustren Namens glauben, wie wenn der irgendetwas über die Qualität seiner Äusserungen sagen würde.
Mercola ist derzeit so etwas wie der Staatsfeind Nummer eins in den USA. Präsident Joe Biden hat Facebook und Twitter aufgerufen, Mercola und andere Impfskeptiker mit grosser Reichweite von ihren Plattformen zu verbannen. Aus guten Gründen: Wie viele westliche Staaten haben es auch die USA mit zunehmender Impfmüdigkeit zu tun. Seit Anfang Juli hätten 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mindestens einmal geimpft sein sollen. Aktuell sind immer noch nur 69 Prozent.
Wobei sich die Lage in den Bundesstaaten stark unterscheidet. In Vermont liegt der Wert bei 86,5 Prozent. In Mississippi bei 48,8 Prozent. Die Delta-Variante, die auch in den USA längst dominant ist, verbreitet sich in Bundesstaaten mit geringer Impfquote besonders rasant. Die Zahl der Neuinfektionen steigt zum Teil im dreistelligen Prozentbereich. 97 Prozent der eingewiesenen Corona-Patienten sind nicht geimpft.
Es sind vor allem die von Republikanern regierten Bundesstaaten, die ein Problem damit haben, ihre Bevölkerung an die Nadel zu bekommen.
Hier ist auch die Impfskepsis am meisten verbreitet. Für Leute wie Joseph Mercola ist das die perfekte Spielwiese. Allein auf Facebook soll er seit Beginn der Pandemie mehr als 600 impfkritische Beiträge veröffentlicht haben. Das wäre an sich kein grosses Problem. Wenn Mercola dort nicht 1,7 Millionen Follower hätte. Und das ist nur seine englischsprachige Seite.
Es scheint, dass der Aberglaube an alternative Fakten und Verschwörungsmärchen vor allem in rechtspopulistischen Kreisen verbreitet ist, denn auch in der Schweiz sind es vor allem die Anhänger der SVP, die sich nicht impfen lassen wollen, die das Märchen von Wilhelm Tell wörtlich nehmen und ihre Identität in einer Ablehnung von allem sehen, das von aussen kommt – was auch immer «aussen» im jeweiligen Zusammenhang bedeutet.
Sein spanischsprachiges Facebook-Angebot weist eine weitere Million Follower aus. Dazu kommen nach einer Analyse der «New York Times» 17 weitere Facebook-Seiten, die direkt oder indirekt mit Mercola in Verbindung stehen. Die 300’000 Follower auf Twitter und 400’000 Abonnenten auf Youtube fallen da kaum noch ins Gewicht.
Auch dies ist eine interessante Beobachtung. Das Erstellen und Bedienen einer Vielzahl von Facebook-Seiten scheint ebenfalls zum Geschäftsmodell von Desinformations-Profis zu gehören. Vermutlich nutzten sie diese, um verschiedenste gesellschaftliche Segmente mittels jeweils massgeschneiderter Botschaften besser erreichen zu können, so genanntes Micro-Targeting.
Lohnendes Geschäftsmodell
Mercola betreibt vor allem eines: ein lohnendes Geschäftsmodell. Gern preist er die angebliche Wunderwirkung diverser Produkte an, die er selbstredend auch über seine Website vertreibt. Auf dem Gebiet ist Mercola kein Neuling. … Mercola betreibt Blogs, verschickt Newsletter und produziert Videos in fast einem Dutzend Sprachen. Sein Netzwerk aus Websites und Social-Media-Accounts ist ein Kosmos für sich. Im Jahr 2017 gab er in einer eidesstattlichen Versicherung sein Nettovermögen mit mehr als 100 Million Dollar an.
Mercola auf Twitter sperren? Nicht so einfach
Die Corona-Pandemie hat ihm neuen Schwung gegeben. In seinen Beiträgen stellte er mit Vorliebe wissenschaftliche Erkenntnisse über das Virus infrage. Im Dezember behauptete er etwa, dass Masken die Ausbreitung des Virus nicht stoppen. Er empfahl auch, bestimmte Vitaminpräparate zu nehmen, um eine Corona-Infektion abzuwehren. Nachdem die FDA ihn im Februar auch in dieser Sache abgemahnt hat, sind solche Posts wieder verschwunden.
Neben Biden fordern auch Organisationen wie das Center for Countering Digital Hate, Leute wie Mercola von den Social-Media-Plattformen auszusperren. Damit aber tun sich die Anbieter schwer. Facebook und Twitter versehen fragwürdige Posts lieber mit dem Hinweis, dass die Inhalte irreführend sein könnten. Und Mercola ist schlau genug, keine eindeutigen Falschbehauptungen mehr in die Welt zu setzen. Die verpackt er lieber in Fragen. Ein beliebtes Mittel von Verschwörungsmystikern. Um Zweifel zu schüren, reicht das.
Den Gegner mit den eigenen Waffen schlagen… 1.5 Jahre Campaigning für Fakten(checks) und gegen Fake News haben auch uns gelehrt, dass man Anhänger von Verschwörungsmärchen nicht überzeugen kann, aber man kann mit den richtigen Fragen (wieso, warum, wie funktioniert das genau?) wenigstens hin und wieder Zweifel säen und Unentschiedene eher davon abhalten, auf die Dunkle Seite der Macht abzudriften.
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